AWA - THIS IS AN ADVENTURE
Zufällig Wes Anderson?
Eine Weltreise in Bildern
Welches Reisebuch passt in unsere Zeit wie ein Deckel auf seinen Topf? Es ist der Band „Accidentally Wes Anderson“ von Wally Koval. Der seitenstarke Almanach präsentiert über 200 Fotos und bereits in der Einleitung wird die Intention der Publikation klar gesagt: „Dies ist ein Abenteuer“. Ein Abenteuer mit unerklärlichem Sog, dem man sich schwer entziehen kann, hat man erst einmal Feuer gefangen.
Das Projekt begann 2017, als Wally und Amanda Koval lediglich schöne Reiseziele suchten und dabei Bilder fanden, die sie so stark an Wes Andersons Ästhetik erinnerten, dass sie nicht aufhörten, solche Fotos zu sammeln. Koval und seine Freunde posteten ihre Fundstücke seitdem auf dem Instagram-Profil @accitentallywesanderson und es entstand eine Community mit heute über eine Million Fans. Jeden Tag erscheint ein neues Motiv, das eine Filmkulisse von Wes Anderson sein könnte. In Wirklichkeit hat der berühmte Produzent von „The Grand Budapest Hotel“ und „Darjeeling Limited“ die meisten der gezeigten Etablissements nie gesehen. Er habe aber vor, dies bald nachzuholen, sagt er in seinem Vorwort.
Was macht seine Bildsprache so unverwechselbar? Warum sind Millionen Menschen so fasziniert von Fotos, die seinen Filmkulissen ähneln? Typisch für den Anderson-Stil sind märchenhafte und leicht surreal anmutenden Szenen, streng symmetrische Kompositionen und eine prägnante Farbpalette: Die Welt erscheint eingebettet in einen Traum aus Rosa oder Türkis, Orangerot oder Blaugrün. Alles wirkt etwas vintage und ist traumwandlerisch sicher in der ästhetischen Gestaltung, sie ist ausgefeilt und perfekt bis in allerletzte Details. Es sind Bilder wie Gemälde, Szenen einer hyperästhetischen, aber liebenswerten Welt.
Mit der Ästhetik des Schönen flirten die Aufnahmen in Kovals Buch. Der Reiseführer enthält Landkarten und ist gespickt mit brillanten Werken verschiedener Fotografen – und „zufällig“ wirkt jedes der nach Regionen sortierten Motive wie aus einem der preisgekrönten filmischen Meisterwerke. Während der Regisseur, Wes Anderson, 2012 das große rosafarbene Görlitzer Kaufhaus als Kulisse für seinen Film „The Grand Budapest Hotel“ umbauen ließ, existieren die von Koval entdeckten Bauten und Objekte aber bereits. Man muss sie „nur“ so fotografieren, dass sie „wie Anderson“ wirken.
Der Band „Accidentally Wes Anderson“ spielt mit der Sehnsucht nach der Ferne und regt dazu an, jenseits von touristischen Trampelpfaden nach Burgen, Banken, Kiosken und Tankstellen, Fernrohren, Telefonen und Leuchttürmen Ausschau zu halten, die den Ikonen gleichen. Die Kirchen, Schlösser, Eisfischerhütten, Pfannkuchenstände und Schwimmhallen aus aller Welt stehen im Buch nicht allein. Es gibt auch kleine, informative Geschichten, die Orientierung und Atmosphäre schaffen. Koval nimmt Foto- und Reisesüchtige mit auf eine Weltreise, die durch alle Kontinente führt, auch nach Alaska. Und nach Deutschland! Auch unser Land hat etwas zu bieten: eine Seilbahn in Köln, ein Badekarren auf Borkum und die Yenidze in Dresden, eine Tabakfabrik im Stil einer osmanischen Moschee. Selbst Schloss Moritzburg, wo die „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ zahlreiche Besucher anlocken, ist ausgesprochen interessant. Denn dort präsentiert sich der mit riesigen Geweihen geschmückte Speisesaal ziemlich Wes-Anderson-like.
Wer Fernweh hat, der kann von öffentlichen Telefonen träumen. Einige posieren vor der gigantischen Bergkulisse im Glacier-Bay-Nationalpark in Alaska, einem der größten Naturschutzgebiete der Welt. Die Lieblingsfarbe ist Rosa? Dann lohnt eine Reise zu den Roberts Cottages der Stadt Oceanside in Kalifornien. Die kleinen Strandhütten in Dreiecksform bieten Raum für Erholungsuchende und lassen Designer schwach werden. Wer weiter in rosaroten Sphären schwelgen will, dem empfiehlt Koval ein Besuch des 1890 erbauten „Hotel Opera“ ... und ein kaltes Bier an der Bar. Das Haus im böhmischen Neorenaissance-Stil befindet sich im UNESCO-geschützten historischen Teil von Prag, nur einige Meter entfernt von der Moldau – eine perfekte Kulisse im Wes-Anderson-Look. Etwas länger dauert die Reise zur Metro-Station Kaeson in Pjöngjang in Nordkorea; es sei denn man träumt sich nur an den Underground-Ort mit der 65 Meter langen Rolltreppe. Farbwechsel: In Neuseeland wartet im sanft-saftigen Grün-Hellblau-Style die Kohekohe-Kirche, ein smartes Kirchlein auf der neuseeländischen Halbinsel Awhitu, was laut Autor heißen soll: „sich nach etwas sehnen“.
Die Sehnsucht nach Fantasie, Schönheit und Vollkommenheit und die nach traumhaften Reisezielen wird mit diesem Buch garantiert gestillt und gleichzeitig auch neu befeuert. Denn so wie das Motto der Einleitung es auf den Punkt bringt, ist das „Accidentally Wes Anderson“ nicht nur ein ausgesprochen schöner Reiseband, sondern auch eine Einladung, sich am Abenteuer zu beteiligen. Wes-Anderson-Motive gibt es vielleicht sogar im eigenen Garten.
Jeder kann seine eigenen Fotos à la Wes Anderson hier uploaden:
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Roberts Cottages
Oceanside, Kalifornien | um 1928,
S. 36, USA © Paul Fuentes. Aus: ›Accidentally Wes Anderson‹ / 2020 DuMont Buchverlag
Unten:
Wally Koval: ACCIDENTALLY WES ANDERSON
Orte wie aus „Grand Budapest Hotel“ und anderen Filmen des Regisseurs
368 S., 200 farbige Abb., aus dem Englischen von Mia Pfahl
DuMont Verlag 2020
ISBN 978-3-8321-9985-2